Tatort-Schreibtisch-Buch der Woche
Mischa Bach: "Der Tod ist ein langer trüber Fluss"
Nach einem mutmaßlichen Selbstmordversuch im Rhein weiß Ophelia nicht mehr, wer sie ist. Doch nun kann sie die Toten hören...
Auch der tote Mann, den sie an ihrem neuen Arbeitsplatz in der Bonner
Gerichtsmedizin vorfindet, spricht mit ihr. Ophelia macht sich auf die
Suche nach seiner Geschichte. Es ist eine Reise in eine Vergangenheit,
die mehr mit ihr zu tun hat, als sie ahnt ...
Eine bewegende literarische Novelle, dicht und stimmungsvoll geschrieben
Die Kriminalnovelle "Der Tod ist ein langer trüber Fluss" wurde 2001 mit dem Martha-Saalfeld-Preis ausgezeichnet und 2005 für den Friedrich-Glauser-Preis in der sparte Debüt nominiert
ISBN 9783946312307
Print-Ausgabe: 9,99 € (A: 10,40 €)
E-Book: 6,99 €
E-Book ohne Anmeldung kaufen
Mischa Bach alias Dr. Michaela Bach lebt in Essen und wurde in Neuwied am Rhein geboren. Die Filmwissenschaftlerin, (Drehbuch-)Autorin, Journalistin, Übersetzerin und Dozentin handelt nach dem Motto "Besser gut erfunden als schlecht erinnert". Im Fall dieser rund 110 Seiten langen Kriminalnovelle "Der Tod ist ein langer trüber Fluss" – ihr Debut als Krimi-Autorin – mit großem Erfolg. Bis heute hat Mischa Bach zahlreiche Romane, Theaterstücke und Fernsehdrehbücher geschrieben und gib nun ihr Wissen und ihre Erfahrung als Dozentin und Dramturgin weiter.
LESEPROBE
Ich liebe den Fluss. Vater Rhein nennen ihn manche, und die Touristen sind ganz verliebt in seine Schiffe und seine Ufer, seine Weinbaugebiete und seine Burgen. Aber das ist es nicht. Ich liebe den Fluss wegen der Geschichten, die er zu mir bringt, selbst, wenn die meisten davon alles andere als schön sind. Ophelia nennen mich meine Kollegen, denn es sind die Geschichten seiner Toten.
Bald werde ich nicht mehr den leisen Stimmen lauschen können, die sich zu Erzählungen jenseits der weiß-grün-stahlfarbenen, sauberen Welt der Gerichtsmedizin verweben. Ich hatte in der Zeitung gelesen, die Regierung wolle unser Institut wie auch einige andere schließen. Zu teuer hieß es offiziell, aber ich denke, niemand will die Geschichten der Toten hören. Und ich, die ich vor über einem Jahr im Fluss meine eigene Geschichte verloren hatte, ich wäre dann noch einsamer in der eigenartigen Schwärze, dem Nichts meines Gedächtnisses. Zugleich schien es passend, nach der Schließung nicht mehr zu wissen, was aus mir wird. Denn nicht zu wissen, was gewesen war, meine Amnesie, war für mich ein zweites Zuhause geworden. Das war gut so, auch wenn es weder Polizei noch Ärzte begriffen: Man hatte mich aus dem Fluss gezogen, ein Selbstmordversuch hieß es. Dafür hatte es sicher gute Gründe gegeben – es war also folgerichtig, sich nicht zu erinnern. Die Frau, die es mal gegeben haben musste, die Frau ohne Namen, die in keinem Vermisstenregister auftauchte, die Frau, die sterben wollte, war tatsächlich tot. An ihrer Stelle gab es mich, Ophelia, die sonderbare Helferin in der Bonner Gerichtsmedizin, Ophelia, die Schweigende, die die Stimmen der Toten hört, die der Fluss ihr bringt. Oder doch bis jetzt gehört hatte …
Plötzlich hört das Schaukeln auf. Kein wiegendes Wasser mehr, und das Wirbeln der Schiffsschrauben wird zu rhythmischem Scheuern auf einer Kiesbank. Dann, nach einer unbestimmten, unbestimmbaren Weile wiederum Bewegung, Geräusche, wirr, verwirrend, ich bin dem Fluss entrissen!
Ich war allein im Institut, als sie ihn mir brachten; ich bin immer die erste, die kommt, und die letzte, die geht. Der junge Mann konnte nicht lange im Wasser gelegen haben, sein Körper war noch nicht bis an seine Grenzen aufgequollen. Im Gegenteil, er sah aus, als wäre er eben erst in der Badewanne eingeschlafen.
Ich füllte die Papiere für die Überstellung aus – alle Flussleichen kommen hierher. Schließlich erleiden die wenigsten einen Herzinfarkt oder dergleichen, während sie am Ufer stehen, und fallen danach unbemerkt und ohne dass sie jemand vermisst ins Wasser. Eine natürliche Todesursache ist da selten, und selbst bei Unfällen und Selbsttötungen gibt es zu viele offene Fragen. Ich informierte die diensthabende Gerichtsmedizinerin über unseren morgendlichen Gast, dann setzte ich mich zu ihm und betrachtete ihn lange.
Der Fluss hatte ihn sich früh geholt, er war vielleicht Mitte zwanzig, das Alter, auf das sie mich schätzten. Seine feuchte Haut war blass, schon beinahe bleich. Er hatte schwarzes, kurzes Haar mit ein paar langen, blauen Strähnen, die ihm im Gesicht klebten. Vorsichtig schob ich sie beiseite und sah seine Augen, die dunkel und warm gewesen sein mussten. Jetzt hatten sie den eigenartig wissenden Ausdruck derjenigen, die ihren Tod in aller Klarheit gesehen haben. Sein Lächeln dagegen war kaum als solches zu erkennen. Jedenfalls war es kein Lächeln, das ich je auf dem Gesicht eines Lebenden gesehen hatte. Manchmal sah ich dieses seltsam-wissende Lächeln, wenn mich mein Spiegelbild im Vorübergehen in einer der blank geputzten Flächen des Instituts erwischte. Manchmal sahen es auch die Kollegen, sie zuckten dann zurück und versuchten, das Schaudern mit einem Witz abzutun:
»Vielleicht hättest du dich lieber Mona Lisa nennen sollen«, sagten sie dann manchmal, und ich wusste nie, ließ das Erschrecken sie jedes Mal vergessen, dass sie diesen Satz und den folgenden bereits wiederholt geäußert hatten? Denn wie die Flut auf die Ebbe, so folgte unweigerlich der Zusatz:
»La Gioconda, die ihr eigenes Geheimnis vergessen hat, das wär doch was!«
Damit stellten sie, zumeist lachend, für sich den Normalzustand der Dinge wieder her. Ich lachte meist höflich mit und schüttelte innerlich doch den Kopf. Es waren die Brüche, Momente wie diese, die mir klarmachten, wenn ich schon einen Namen haben musste, dann Ophelia – Ophelia, die, zurückgewiesen von Hamlet, isoliert durch seinen Wahn, den Tod im Wasser sucht und findet. Mich hatte der Tod zwar nicht gewollt, dafür war es, als hätte mir der Fluss zum Abschied das Totenlächeln geschenkt.
Autorenfoto: Stephan von Kobloch
Eine bewegende literarische Novelle, dicht und stimmungsvoll geschrieben
Die Kriminalnovelle "Der Tod ist ein langer trüber Fluss" wurde 2001 mit dem Martha-Saalfeld-Preis ausgezeichnet und 2005 für den Friedrich-Glauser-Preis in der sparte Debüt nominiert
ISBN 9783946312307
Print-Ausgabe: 9,99 € (A: 10,40 €)
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Mischa Bach alias Dr. Michaela Bach lebt in Essen und wurde in Neuwied am Rhein geboren. Die Filmwissenschaftlerin, (Drehbuch-)Autorin, Journalistin, Übersetzerin und Dozentin handelt nach dem Motto "Besser gut erfunden als schlecht erinnert". Im Fall dieser rund 110 Seiten langen Kriminalnovelle "Der Tod ist ein langer trüber Fluss" – ihr Debut als Krimi-Autorin – mit großem Erfolg. Bis heute hat Mischa Bach zahlreiche Romane, Theaterstücke und Fernsehdrehbücher geschrieben und gib nun ihr Wissen und ihre Erfahrung als Dozentin und Dramturgin weiter.
LESEPROBE
Ich liebe den Fluss. Vater Rhein nennen ihn manche, und die Touristen sind ganz verliebt in seine Schiffe und seine Ufer, seine Weinbaugebiete und seine Burgen. Aber das ist es nicht. Ich liebe den Fluss wegen der Geschichten, die er zu mir bringt, selbst, wenn die meisten davon alles andere als schön sind. Ophelia nennen mich meine Kollegen, denn es sind die Geschichten seiner Toten.
Bald werde ich nicht mehr den leisen Stimmen lauschen können, die sich zu Erzählungen jenseits der weiß-grün-stahlfarbenen, sauberen Welt der Gerichtsmedizin verweben. Ich hatte in der Zeitung gelesen, die Regierung wolle unser Institut wie auch einige andere schließen. Zu teuer hieß es offiziell, aber ich denke, niemand will die Geschichten der Toten hören. Und ich, die ich vor über einem Jahr im Fluss meine eigene Geschichte verloren hatte, ich wäre dann noch einsamer in der eigenartigen Schwärze, dem Nichts meines Gedächtnisses. Zugleich schien es passend, nach der Schließung nicht mehr zu wissen, was aus mir wird. Denn nicht zu wissen, was gewesen war, meine Amnesie, war für mich ein zweites Zuhause geworden. Das war gut so, auch wenn es weder Polizei noch Ärzte begriffen: Man hatte mich aus dem Fluss gezogen, ein Selbstmordversuch hieß es. Dafür hatte es sicher gute Gründe gegeben – es war also folgerichtig, sich nicht zu erinnern. Die Frau, die es mal gegeben haben musste, die Frau ohne Namen, die in keinem Vermisstenregister auftauchte, die Frau, die sterben wollte, war tatsächlich tot. An ihrer Stelle gab es mich, Ophelia, die sonderbare Helferin in der Bonner Gerichtsmedizin, Ophelia, die Schweigende, die die Stimmen der Toten hört, die der Fluss ihr bringt. Oder doch bis jetzt gehört hatte …
Plötzlich hört das Schaukeln auf. Kein wiegendes Wasser mehr, und das Wirbeln der Schiffsschrauben wird zu rhythmischem Scheuern auf einer Kiesbank. Dann, nach einer unbestimmten, unbestimmbaren Weile wiederum Bewegung, Geräusche, wirr, verwirrend, ich bin dem Fluss entrissen!
Ich war allein im Institut, als sie ihn mir brachten; ich bin immer die erste, die kommt, und die letzte, die geht. Der junge Mann konnte nicht lange im Wasser gelegen haben, sein Körper war noch nicht bis an seine Grenzen aufgequollen. Im Gegenteil, er sah aus, als wäre er eben erst in der Badewanne eingeschlafen.
Ich füllte die Papiere für die Überstellung aus – alle Flussleichen kommen hierher. Schließlich erleiden die wenigsten einen Herzinfarkt oder dergleichen, während sie am Ufer stehen, und fallen danach unbemerkt und ohne dass sie jemand vermisst ins Wasser. Eine natürliche Todesursache ist da selten, und selbst bei Unfällen und Selbsttötungen gibt es zu viele offene Fragen. Ich informierte die diensthabende Gerichtsmedizinerin über unseren morgendlichen Gast, dann setzte ich mich zu ihm und betrachtete ihn lange.
Der Fluss hatte ihn sich früh geholt, er war vielleicht Mitte zwanzig, das Alter, auf das sie mich schätzten. Seine feuchte Haut war blass, schon beinahe bleich. Er hatte schwarzes, kurzes Haar mit ein paar langen, blauen Strähnen, die ihm im Gesicht klebten. Vorsichtig schob ich sie beiseite und sah seine Augen, die dunkel und warm gewesen sein mussten. Jetzt hatten sie den eigenartig wissenden Ausdruck derjenigen, die ihren Tod in aller Klarheit gesehen haben. Sein Lächeln dagegen war kaum als solches zu erkennen. Jedenfalls war es kein Lächeln, das ich je auf dem Gesicht eines Lebenden gesehen hatte. Manchmal sah ich dieses seltsam-wissende Lächeln, wenn mich mein Spiegelbild im Vorübergehen in einer der blank geputzten Flächen des Instituts erwischte. Manchmal sahen es auch die Kollegen, sie zuckten dann zurück und versuchten, das Schaudern mit einem Witz abzutun:
»Vielleicht hättest du dich lieber Mona Lisa nennen sollen«, sagten sie dann manchmal, und ich wusste nie, ließ das Erschrecken sie jedes Mal vergessen, dass sie diesen Satz und den folgenden bereits wiederholt geäußert hatten? Denn wie die Flut auf die Ebbe, so folgte unweigerlich der Zusatz:
»La Gioconda, die ihr eigenes Geheimnis vergessen hat, das wär doch was!«
Damit stellten sie, zumeist lachend, für sich den Normalzustand der Dinge wieder her. Ich lachte meist höflich mit und schüttelte innerlich doch den Kopf. Es waren die Brüche, Momente wie diese, die mir klarmachten, wenn ich schon einen Namen haben musste, dann Ophelia – Ophelia, die, zurückgewiesen von Hamlet, isoliert durch seinen Wahn, den Tod im Wasser sucht und findet. Mich hatte der Tod zwar nicht gewollt, dafür war es, als hätte mir der Fluss zum Abschied das Totenlächeln geschenkt.
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Autorenfoto: Stephan von Kobloch
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